Die Sache mit Half-Life 2: Episode 3 geht so: Das Spiel ist niemals herausgekommen. Die Entwickler*innen bei Valve haben die dritte Episode zugunsten von Left 4 Dead links liegen lassen – und damit war das Kind in den Brunnen gefallen. Über die Jahre haben sich unzählige Fan-Projekte rund um diese Ep. 3 gruppiert, manche wurden inzwischen eingestampft (siehe Boreal Alyph), andere sind die längste Zeit in der Versenkung verschwunden (Project Borealis), wieder andere machen uns – und damit meine ich mir – Hoffnung.
In letztere Kategorie der Hoffnungsträger*innen gehören Half-Life: Interlude und das weniger bekannte Half-Life 2: Infinite Finality. Ach so: Natürlich steckt hinter jedem einzelnen dieser Projekte eimerweise Herzblut und hektoliterweise verbrannte Freizeit der Kreativschaffenden. Solche Projekte sind also immer wohlwollend zu betrachten, meine ich. Dennoch bleibt die Leitfrage: Welches dieser drei „Wir-lassen-Half-Life-2-Episode-3-einfach-in-Eigenregie-wieder-auferstehen-Unterfangen“ ist am erfolgversprechendsten. Meine Antwort darauf – gebe ich euch jetzt. Na, schon gespannt?
Project Borealis: Visueller Rausch – sonst nur Schall und Rauch?
Zuallererst dasjenige Projekt, welches auch abseits der Fan-Community in der Fachpresse die größte Welle gemacht hat: Project Borealis. Ja, einerseits ist Project Borealis die ambitionierteste Unternehmung. Und andererseits? Erstmal: Entgegen anderer Mods, sattelt diese hier mitnichten auf der Source-Engine aus Half-Life 2 auf, sondern wurde hier ein Freeman-Abenteuer in der Unreal Engine 5 neu hochgezogen. Dabei kommt das Spielgefühl der (unheimlich unfassbar kurzen) Demo sehr nahe an das altvertraute aus Half-Life 2 heran. Und sonst so? Beeindruckt Project Borealis schon.
Die Kopfkrabben sind flauschig, Gordon hinterlässt Fußspuren im fußknöcheltiefen Schnee, Ravenholm ist noch immer kein Wohlfühlörtchen, und der G-Man stalkt uns noch immer hinterher. Ansonsten spielerisch alles typisch Ravenholm. Na, ihr wisst schon. Gravity Gun zücken. Propangastank greifen. Dann dem Zombie das explosive Teil ins Antlitz schmettern, bumm, Kopfkrabbensalat ist fertig.
Übrigens: Auch Valve-Guru Tyler McVicker hat die drei Mods unter die Lupe genommen. Meine Idee zu dieser Kolumne hatte ich aber schon vor McVickers Video. Ich schwöre.
So. Spaß und Explosivgeschosse beiseite. Project Borealis ist nicht schlecht. Im Gegenteil. Die Atmosphäre ist dicht, das Gameplay kommt gefährlich nahe an Half-Life 2 heran, die Technik beeindruckt (mit schicken Schauwerten, die Performance humpelt eher). Zudem die Bereitschaft, ein Half-Life-Spiel in einer anderen Engine gänzlich neu hochzuziehen ist … überambitioniert? Und könnte letztlich der Hauptgrund sein, wieso Project Borealis seit Jahren nicht wirklich aus dem Quark kommt. Realistischer in der Umsetzung wirkt da Half-Life: Interlude.
Half-Life: Interlude – Komfort-Food im Shooter-Fresstempel
Fangen wir also nochmal mit Half-Life 2: Episode 3 an – diesmal mit Interlude. Sitzt erstmal fest im Sattel der soliden, stabilen Source-Engine, fühlt sich direkt an, wie ein verschüttgegangenes Episödchen aus dem Half-Life-Universum. Im HEV-Anzug von Vorbild-Physiker Gordon Freeman verschlägt es uns in die Antarktis, genauer in eine Forschungsstation. Die Crux: Auch die außerirdischen Combine haben sich dort längst heimisch gemacht. Und so mühen wir uns Gordon-typisch und waffenstarrend an den außerirdischen Invasoren ab, propellern nebenbei noch einige fliegende Schnitter weg, stellen dreibeinigen Jägern ein, nun ja, Bein.
Gameplay-technisch ist das also Komfort-Food in der altbekannten Geschmacksrichtung Half-Life 2. Aber etwas ist anders – zumindest im Vergleich zu Project Borealis: Das Storytelling ist schärfer skizziert. Denn: An einer Stelle treten wir sogar mit Barney Calhoun in Funkkontakt, zum Ende hin fordert uns ein Vortigaunt-Alien dazu auf, ihm nachzufolgen. Für mich der Höhepunkt ist das Mini-Rätsel in Interlude. Ich darf’s euch kurz erklären. Wir finden uns in einer Lagerhalle wieder, von deren Decke ein hölzernes Boot hängt – und auch drumherum sind allerlei Holzkisten.
Unser Ziel: ein Feuerchen legen, damit auch jene Holzplanken entflammen, die uns den Zugang zu einem umzäunten Areal versperren. Nachdem die Blockade erfolgreich weggekokelt wurde, erhalten wir Zugang zu einem Doppelstecker. Den klauben wir mit der Gravity Gun auf, um ihn in einem anderen Teil des Levels wieder einzustöpseln – und damit das Weiterkommen zu ermöglichen. Hört sich schnöde an, ist aber genau eines jener, den Spielablauf auflockernden, kurzweiligen Rätsel, die ein Half-Life 2 von anderen Genre-Vertretern positiv unterscheiden.
Und die abspielbaren, im Level verteilten Audio-Kassetten sind eine feine Herangehensweise, um die Story von Interlude ressourcenschonend voranzutreiben. Ganz nett also, aber das wirklich spektakuläre Spectaculum schlägt mit Infinite Finality ein.
Half-Life 2: Infinite Finality – Vorspeise, Hauptgericht & Nachspeise in einem
Bonjour, Half-Life 2: Infinite Finality. Wenn ich klappriges Schul-Französisch verfalle, will das was heißen. Denn: Combine wegknüppeln? Geschenkt! Flauschige Kopfkrabben brachial mit Nahkampfgerät wegkeulen? Sowieso! Den Alien-Invasoren die Weltherrschaftspläne zerwühlen? Gehört dazu! Das ganze Standard-Repertoire frühstückt auch Infinite Finality weg. Und als Kirschlikör-Kirsche obendrauf gibt’s – wie bei den anderen Mods auch – das Story-Resteessen von Marc Laidlaws Epistle 3 serviert. Was Infinite Finality jedoch von Mitbewerbern unterscheidet, ist der Raum, den sich das Spiel zum Atmen nimmt.
Denn wo sich Project Borealis und Interlude hektisch abstrampeln, bloß meine Aufmerksamkeit in jeder Spielsekunde abzugreifen, ist Infinite Finality auch einfach mal ruhig. Stille. Totenstille. Die unendlichen Weiten der Antarktis breiten sich in dieser Fan-Vision aus – und ich hatte bei Team Hyperborea dieses spezielle Gefühl, von dem ich gar nicht wusste, dass es mir sowohl bei Project Borealis als auch Interlude gefehlt hat. Das Gefühl, eine fremde, faszinierende Welt zu erforschen.
Zuerst stapfen wir durch verwinkelte Höhlenformationen, wo sich die Flora und Fauna aus der Alien-Welt Xen breitgemacht hat. Wie im ersten Half-Life geht’s ballistisch durchschlagend gegen Bullsquids, Houndeyes und natürlich Headcrabs. Das Höhlensystem wird farbenfroh ausgeleuchtet von außerirdischen Lichtpflanzen, aus dem Boden sprießen haarartige Pflanzen, und auch das blaue Regenerations-Bad wurde in die Böden eingelassen. Dann sind es auch die kleinen (statt Brechstange gibt’s passenderweise einen Eispickel in die Hand) und großen Entscheidungen (Infinity Interlude ist die einzige Mod, wo uns Alyx Vance begleitet), die gefallen.
Wieso Half-Life 2: Infinite Finality für mich die beste Episode 3 ist
Apropos Größe: Die Demo ist wirklich groß. Wer weiß, was sie oder er macht, hat diese Testversion in einer Stunde vom Tisch. Selber war ich aber über zwei Stunden mit der antarktischen Odyssee eingedeckt. Und habe ich schon erwähnt, dass ihr euch vermittels Gravity Gun Dynamit-Stangen heranholt, um damit hilfreiche Gegenstände aus dem Eis zu sprengen? Sehr befriedigend.
Wegen der beeindruckenden Länge und den unübersehbaren, spielerischen Qualitäten, ist Infinite Finality meine persönliche Gewinnerin im Wettstreit „Wir-lassen-Half-Life-2-Episode-3-einfach-in-Eigenregie-wieder-auferstehen-Unterfangen“. Nur das Writing von Alyx Vance, Isaac Kleiner und Arne Magnusson ist noch etwas – lasst es mich diplomatisch ausdrücken – verbesserungswürdig. Anders gesagt: Wenn Nichtspielercharaktere, zu denen ich eigentlich eine emotionale Bindung aufgebaut habe, ausschließlich Story-dienliche Informationen von sich geben, kratzt das an der Immersion.
Dennoch: Ich wette fuffzig Zent, Half-Life 2: Infinite Finality ist die erfolgversprechendste Fan-Vision zu Half-Life 2: Episode 3. Ende meines Meinungsbeitrags. Punkt. Jetzt seid ihr übersättigt von lauter Half-Life? Dann taucht doch lieber in die sanft-flauschige Welt von The Legend of Zelda ab – und entdeckt, wieso einer der umstrittensten Teile durchaus seine Fans hat.
Quellen: YouTube / @TylerMcVicker1, Reddit / @OwnRound