Nachdem uns der Oktober mit Halloween-Horror geschockt hat und bevor uns der Dezember mit Diskussionen über die Spiele des Jahres vereinnahmt, lässt uns der November nochmal Luft zum Atmen.
Der perfekte Zeitpunkt also, um einige brandheiße Titel nachzuholen, die uns bislang durch die ja eigentlich sehr geübten Finger geschlüpft sind. Diesen Monat haben wir ein paar echte Geheimtipps für euch auf Lager, die ihr vielleicht noch nicht auf dem Schirm hattet – und wollen natürlich wissen, was euch derzeit vor die Flimmerkiste fesselt.
Sören: Brotato
Kartoffeln sind zwar nicht unbedingt meine liebste Beilage, dennoch verbringe ich seit kurzer Zeit etliche Stunden mit einer meine Freizeit. Natürlich kein echter Erdapfel versteht sich, das wäre schon etwas arg Banane; ich meine Brotato. Das ist ähnlich wie Vampire Survivors, kostet auch nur ein paar Euro und bietet stundenlange, etwas arg stumpfe Unterhaltung.
Denn sind wir einmal ehrlich: Eine wirklich tiefgreifende Spielerfahrung bieten diese sogenannten Action-Rogue-Like nicht. Es wird automatisch angegriffen, man selbst läuft nur und entscheidet über Upgrades und neue Waffen. Und trotzdem funktioniert es, da man immer die Karotte vor der Nase hat. Den nächsten Dopamin-Schub, wenn man eine Welle geschafft hat, ein Level aufgestiegen ist und seinen Zauberstab vielleicht upgraden kann, damit er ein wenig mehr Schaden macht.
Brotato macht nicht wirklich was besonderes, selbst der Artstyle ist eigentlich gar nicht meins. Aber ich will unbedingt alle Kartoffeln freischalten, den nächsten Schwierigkeitsgrad schaffen und die Runden dauern in der Regel nur wenige Minuten. Es ist das perfekte Spiel, um es noch einmal kurz vor dem Schlafengehen auf dem Steam Deck zu zocken. Nur, um dann festzustellen, dass doch schon wieder eine Stunde vergangen ist – verdammt sei der simple, aber so effizient gestaltete Spaß!
Was darunter leidet? Metaphor: ReFantazio! Eigentlich wollte ich mich nach Dragon Age: Veilguard endlich wieder in die Fantasy-Welt von Atlus stürzen, aber so richtig vorangekommen bin ich bislang nicht. Wegen Kartoffeln. Dafür dann halt beim nächsten Mal. Ganz sicher!
Gerrit: Cult of the Lamb & Doki Doki Literature Club
Knuffige Tierchen, ein kreativer Comic-Look, abwechslungsreiche Roguelike-Action – perfekte Voraussetzungen, um eine blutrünstige Sekte zu gründen. In Cult of the Lamb bin ich jetzt zum Määh-tyrer geworden und baue mir tief im Wald eine kleine Glaubensgemeinschaft auf. Putzige Katzen, Hirsche und Capybaras schließen sich dem von höheren Mächten erwählten Lamm an und verhelfen ihm zu immer größerem Einfluss. Ach, wie treudoof sie doch sind, wenn sie meinen Gehirnwäsche-Predigten lauschen und jeden Fraß verschlingen, den ich ihnen vorsetze.
Klar nervt es, die goldenen und Regenbogen-Kackhaufen wegzuräumen, aber wenn ich die armen Seelen segne oder ein Geschenk mache, sehe ich die bedingungslose Hingabe in ihren leuchtenden Augen. Und immer wenn eines meiner Kultmitglieder an hohem Alter stirbt, tut es mir ehrlich in meinem Herzen (oder wie dieses von schwarzem Glibber durchtränkte Organ in meiner Brust auch heißen mag) weh.
Cult of the Lamb hat mich zu Anfang freundlicherweise ausreichend an die Hand genommen und eine steile Erfolgskurve im Early Game beschert – das ist motivierend, zeigt mir aber auch gleichzeitig auf, dass ich mich um viele Dinge kümmern muss. Denn der Tag ist lang, auch, wenn meine Kultist*innen helfen, wo sie können. Klar kommt auch mal ein Spion vorbei oder ein Witzbold meiner Gemeinschaft ist so von Kot besessen, dass er es berauschend findet, diesem einer Kameradin vorzusetzen.
Unterm Strich läuft aber alles, solange die willenlosen Pelzlinge nur brav vor meiner Statue niederknien. Cult of the Lamb hat mich in den ersten 15 Minuten jedenfalls besser unterhalten als Stardew Valley in 20 Stunden. Also: Huldigt dem Lamm, ihr wertlosen Maden!
Wem das noch nicht verstörend genug ist: Doki Doki Literature Club lockte mich mit süßen Anime-Schulmädchen, um mir im gleichen Atemzug eine Trigger-Warnung entgegenzuschleudern. Ob des Settings und der Optik wusste ich nicht, wie ernst ich diese nehmen sollte. „Dieses Spiel ist nicht für Kinder!“ Okay, was soll das hier werden? Kenner*innen wissen, wie die Stimmung der Visual Novel nach dem Schulfest umschlägt und das hat auch mich ziemlich kalt erwischt.
Vom rosa Cupcake- und Gedichte-Alltag zum glitchy Psycho-Horror: Vor da an traute ich keinem Szenenwechsel und keiner Textzeile mehr. Leider ist das Spiel im Kern trotzdem sehr repetitiv, weil die Tages- und Gesprächsabläufe ja weitestgehend bekannt sind, also musste ich mich schon etwas durchbeißen. Aber für den Twist, der trotz allem sehr plötzlich kam, gibt es allein schon einen Daumen hoch.
Paul: Cult of the Lamb
Witzig, weil unabgesprochen: Wie auch Kollege Gerrit habe ich mich zum Ausklang der Herbstzeit noch einmal einem „gruseligeren“ Game geöffnet, das dank seiner charmanten Aufmachung bereits seit seiner Veröffentlichung im Jahre 2022 in meinem Kopf regelmäßig herumgespukt ist. Gruselig wie gemütlich, hat sich Cult of the Lamb binnen kürzester Spielzeit einen Platz in meinem Herzen gesichert, spricht mich doch ebenso der niedliche Mix aus süßen Waldbewohnern, die meinen eigentlich als Satansbraten geplantes Lämmchen anhimmeln und dem wahnwitzig süchtig machenden Gameplay-Loop aus chilliger Dorfbausimulation und Hades-artigem Roguelite-Dungeon-Gecrawle gleichermaßen an.
Die ohnehin liebenswert kreierten Kultanhänger, für deren letzten Schliff ich dank Farbpalette und weiteren Customization-Optionen selbst sorgen darf, lassen mich regelmäßig mit ihrer unschuldig-naiven Art dahinschmelzen. So kann ich es ihnen im Gegensatz zu meinem Co-Autoren gar nicht übelnehmen, wenn sie mir ihre güldenen Häufchen direkt auf dem Altar präsentieren. Zu ihrer Verteidigung bleibt zu sagen: Bei dem gammeligen Fraß, den sie ab und an vorgesetzt bekommen, würde meine Verdauung vermutlich auch Regenbögen zu Tage fördern.
Dazu bewegt, Cult of the Lamb dann nach langem Hinauszögern doch endlich mal eine Chance zu geben, haben mich im Übrigen gleich mehrere Umstände: Zum einen trafen wir auf der Berliner Messe MEX auf zwei Cosplayerinnen, die das Lamm und die Ziege ganz hervorragend in Szene zu setzen wussten. Zum anderen gab es den Titel im Steam Sale vor Kurzem zum bisherigen Tiefstpreis von rund einem Zehner, womit ich mich dem Bann des Lämmerkults einfach nicht mehr länger entziehen konnte.
Besonders cool für Singleplayer-scheue Spieler wie mich: Seit dem Unholy Alliance-Update kann man Cult of the Lamb auch im Koop-Modus spielen – entweder gemeinsam eingekuschelt auf der Couch oder über zwei Bildschirme dank Steams reibungslosem Remote Play Together-Feature. So ziehe ich also dieser Tage an der Seite meiner Ziege im flauschigen Schafskostüm hinaus, um weitere unverdorbene Tierchen von meiner teuflischen Agenda zu überzeugen, während wir predigen, bauen und niedermetzlen, was die Hörner halten.
Jonas: Slay the Princess und Disco Elysium
Noch haben wir zwar keinen Winter, aber die Zeit, um sich gemütlich mit einem schönen Schmöker vor den Kamin zu kuscheln, ist trotzdem schon gekommen. Und wenn eine Feuerstelle fehlt und gerade kein gutes Buch zur Hand ist, dann tut es auch eine Heizung und zwei unglaublich fesselnde textbasierte Videospiele. Eines davon ist zwar bereits letztes Jahr erschienen, bekam vor Kurzem aber noch einmal eine saftige Inhaltsspritze und sehnsüchtig erwartete Konsolenports spendiert: Gemeint ist Slay the Princess.
Bei der Visual Novel ist der Name Programm: Als Held der Geschichte müsst ihr die royale Schönheit nicht retten, sondern niederstrecken. Ihre Existenz bedroht die Menschheit, auch wenn die Prinzessin das ganz anders sieht und euch von eurem Vorhaben abbringen will. Und unter Umständen gelingt ihr das sogar – aber ich will an dieser Stelle gar nicht zu viel verraten, denn Slay the Princess lebt von seinen Überraschungen und Konsequenzen.
Eine jede Entscheidung hat Einfluss auf den Spielverlauf, die Antwortmöglichkeiten und den Ausgang dieser schicksalhaften Begegnung von tragischem Helden und noch tragischerer Prinzessin. Ein Blick lohnt sich für die vielschichtigen Dialoge, die unerwarteten Wendungen, die gelungene Vertonung und nicht zuletzt für die überaus schicken und mitunter Gänsehaut erzeugenden Zeichnungen.
Doch während die Prinzessin noch immer durch meinen Kopf spukt und mich mit moralischen Dilemmata plagt, erklimme ich bereits den nächsten Videospielbaum voller Dialogzweige: Viele von euch dürften Disco Elysium als eines der besten Rollenspiele aller Zeiten kennengelernt haben und diesen Eindruck kann ich nach meinen ersten Spielstunden nur bekräftigen.
Mit der schlimmsten Alkohol-bedingten Amnesie in der Gaming-Geschichte stolpere ich durch die windigen Gassen von Revachol, befrage, schmeichle oder bedrohe Zeugen, lege mich vielleicht sogar mit ihnen an, während mein Partner Kim mir den Rücken deckt oder mit den Augen rollt. Noch stehe ich relativ am Anfang meiner Ermittlungen, aber ich bin bereits Feuer und Flamme, mit meiner Drogensucht und den lokalen Mysterien fertig zu werden.
Patrick: Far Cry 6 und Runaway 3: A Twist of Fate
„Der Herbst ist da, der Herbst ist da!“, singen draußen die Kinderlein. Also, wären da irgendwelche Kinderlein. Oder ein „draußen“. Ach, i wo, bei dieser Höllenkälte geht doch niemand vor die Haustür, oder? Nun ja, ist aber auch wumpe, schließlich schwimme und tauche und renne und reite und fahre und gleite ich und ach… wieso hat mir niemand erzählt, welcher Spielspaß mit Far Cry 6 einhergeht? Und was für eine Bewegungsfreiheit …
Hätte mir anno 2004 jemand erzählt, dass mich Teil 6 der Open World-Ballerei wegblasen würde, wie ein tropischer Orkan mit Windstärke 12, ich hätte den Zeitgenossen für geistig labil erklärt. Immerhin schrieben wir das Jahr 2004, als ich mein letztes Far Cry gespielt habe (also: das erste). Und damals konnte bitte niemand, auch und vor allem kein Hawaiihemd-Heini wie Jack Carver, gegen Half-Life 2 mit Gordon „Freiheitskämpfer“ Freeman anstinken.
Wo war ich? Ach ja, Far Cry 6. Ja doch, ich weiß, Far Cry 2, 4, 5 (und alle anderen Ziffern aus dem Arithmetik-Unterricht) sind allesamt besser als der „mittelmäßige Teil 6 ohne Innovationen“. Mag sein. Aber, ach, ich sage „Schwamm drüber!“. Wenn ich mit Dani Rojas hinter eine Mauer kauere, blindlings mit meinem gepimpten Ballermann Anti-Revoluzzern zusetzte, dann ist das saucool (oder so cool, wie Guerilla-Kampf gegen ein brutales Regime halt sein kann).
Und, hey, was für eine Mordsgaudi die Arten der Fortbewegung in Far Cry 6 bereitet – auf dem Pferderücken, per Paragliding herumfliegen, Autofahren und dergleichen mehr. Aber genug unter karibischer Sonne geschwitzt. Denn schwitzen dürfen meine grauen Gehirnzellen derzeit auch bei Runaway: A Twist of Fate. Damals in den Nullerjahren wuchsen mir die spanischen Péndulo Studios mit ihren Point-and-Click-Adventures rund um Physiker Brain Basco und der resoluten Gina Timmins ans Herz.
Als 2009 Teil drei aufschlug, hat meine Gamer-Karriere eine Päuschen eingelegt. Aber jetzt mache ich wieder ganz viel Klicki-Klicki mit dem finalen Runaway-Kapitel – und find’s famos. Weniger geklickt hat es bei uns leider zuletzt mit dem Dragon Quest 3 HD-2D Remake und Lego Horizon Adventures. Warum das so ist, könnt ihr in den hier jeweils verlinkten Tests nachlesen.
Quellen: YouTube / @Black Tabby Games, Skybound Games, DevolverDigital, Team Solvato