Aber worum geht es in Bayonetta? Bricht man die komplizierte erzählerische Gleichung, aus der Bayonetta besteht, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter, ist es ein plakativer Kampf von Gut gegen Böse um die so genannten „Augen der Welt“. Das sind Edelsteine, die vereint das Ende der bekannten Welt bedeuten und einen schöpferischen Neubeginn ermöglichen. Es ist der Kampf von Weiß (den Engeln und des edlen Weisen) gegen Schwarz (die Umbrahexen mit Bayonetta).
Doch wie so viel in diesem Titel steckt hinter einer einfachen Gleichung so viel mehr und irgendwann kommt viel Grau als Mischfarbe ins Spiel. Denn über beinahe 20 Kapitel (inkl. spielbarem Prolog und Epilog) werden in der ersten Spielhälfte nicht nur mehr Fragen über Bayonetta, ihre Herkunft und ihre Motive gestellt als beantwortet. Auch die Wahrnehmung von Gut und Böse wird teilweise ebenso auf den Kopf gestellt wie die Orientierung, wenn die Hauptdarstellerin z.B. durch eine mittelalterlich wirkende Stadt einer Lavawelle zu entkommen versucht, urplötzlich der Bildschirm kippt und man an den Häuserfassaden entlang läuft. Oder wenn man versucht, aus einer im All um eine horizontale Mittelachse drehenden Kapelle zu entkommen und der Blick durch die Tür in die wirbelnde Galaxie tatsächlich so etwas wie ein Schwindelgefühl vor dem Bildschirm auslöst – Wahnsinn!
Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn man schließlich die gesamte Story auf sich wirken lässt, die nach „normalen“ Maßstäben natürlich vollkommen abstrus und überzogen wirkt, aber innerhalb der akribisch aufgearbeiteten Welt von Bayonetta mit glaubwürdigen Charakteren überzeugt und sich Themen wie Religion, Erbsünde, Erlösung oder Schöpfung von einer augenzwinkernden Perspektive aus nähert. Um schließlich all das, was man klischeehaft in der Anfangsphase als Gut oder Böse versteht, urplötzlich ins Gegenteil zu verkehren.
Man leidet mit der Hexe, wenn sie nach einem Gedächtnisverlust versucht, ihrer Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Man freut sich mit ihr, wenn sie ihren Comic-Sidekick Cheshire („My name is Luka. L.U.K.A!“) nach allen Regeln der Kunst wieder und wieder an der Nase herum- und mitunter spielend verführt, bevor sie ihn im letzten Moment wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Und auch ihre mütterliche, sanfte Seite, die ja bei Hexen oft unterschlagen wird, ist innerhalb der Spielwelt glaubwürdig. Und dass es Hideki Kamiya im letzten Drittel schafft, nicht nur alle Stränge zusammen zu führen, sondern sämtliche Fragen zu beantworten (u.a. wieso ihr Schatten wie ein Schmetterling aussieht), ist bewundernswert!
Stark, sexy, Bayonetta
Doch die langhaarige, schwarzgekleidete und Fäuste, Schwerter, Peitschen oder Pistolen schwingende Dame hat mehr zu bieten als Emotionen. Auch die äußerlichen Reize sind nicht zu verachten und werden in den großartigen Zwischensequenzen immer wieder beeindruckend in Szene gesetzt. Während sie in einem famos choreografierten Ballett der Zerstörung die Gegner malträtiert, fängt die Kamera in waghalsigen Fahrten und schnellen Stakkato-Schnitten all ihre Reize ein: Volle unauffällig geschminkte Lippen, die sich am liebsten um einen Lolly legen, wohlgeformte Beine, die nicht zu enden scheinen, ein formvollendeter Rücken, eine entsprechende Busenpartie – sie ist einfach nur schön anzusehen. Doch ihre Attraktivität ist nicht nur durch die reinen visuellen Reize begründet, denen man sich über rasante Kamerafahrten durch ihre gespreizten Beine hin auf ihren Körperschwerpunkt nicht entziehen kann.
Es ist vielmehr die Tatsache, wie offen und von sich überzeugt sie mit eben diesen Reizen umgeht. Bayonettas gesamte Attitüde ist selbstbewusst, stark und sich hin und wieder auch nicht ganz so ernst nehmend – ein Frauenarchetyp, der sich erfrischend von dem unterscheidet, was in den letzten Jahren auf die Spieler einprasselte. Angefangen von Archäologinnen, die letztlich den Beweis vermissen ließen, dass ihr IQ über ihrer künstlichen Oberweite liegt, bis hin zu helfenden Sidekick-Girlies, die zwar stark sein sollen, aber letztlich doch auf männliche Hilfe angewiesen sind, wenn sie überleben wollen.
Bayonetta will keine Hilfe und braucht sie auch nicht. Ja: Sie spielt lasziv mit ihrer Sexualität, nutzt sie für ihre Zwecke und viele Spielinhalte sind darauf aus, Klischees oder Fetische zu füttern und diese Instinkte durch mehr oder minder versteckte Andeutungen anzusprechen. Aber sie überschreiten nie die Grenze des guten Geschmacks und passen innerhalb der Welt, in der sich die Hexe bewegt, wunderbar ins Gesamtbild. Sie ist kein Opfer ihrer Umwelt, sie macht die Welt zu ihrem Opfer. Dabei verfolgt sie ihre eigenen Ziele, die nie so ganz in eine Schublade passen. Frauen, das geheimnisvolle Wesen – ein weiteres Klischee, dessen sich Bayonetta skrupellos und konsequent, aber auch glaubwürdig bedient.
Fantasievolles Feuerwerk
Die gleiche Fantasie, die bei der Entwicklung hinsichtlich der Weltschöpfung, der darin enthaltenen oder daraus resultierenden Mythen (nachzulesen über in den Abschnitten verteilten Büchern und der Enzyklopädie) an den Tag gelegt wurde, findet sich auch in der Spielmechanik. Natürlich orientiert sie sich an dem, was Kiyami-San vor beinahe zehn Jahren begründet hat: Stylische Action auf linearen Pfaden in großzügigen Abschnitten, einem modernen Hack&Slay nicht ganz unähnlich. Doch genau wie God of War das Prince of Persia-Prinzip perfektionierte, wie ein Zelda – Ocarina of Time die Speerspitze intelligenter Action-Adventure-Unterhaltung darstellt oder Super Mario Galaxy das klassische Jump & Run zu neuen Ufern führte, so sehr überzeugt und überrascht Bayonetta in seinem arcadigen Action-Element, das es perfektioniert.
Um eine Doppeldiskussion zu vermeiden, wurde der Thread zum Test der PAL-Version verschoben.
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4P|Mathias