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Bayonetta (Action-Adventure) – Bayonetta

Erste Eindrücke können täuschen. Und doch sind sie wichtig: Das Aussehen. Die Stimme. Der Charakter. Sie können über Liebe auf den ersten Blick oder spontane Abneigung entscheiden. Doch was ist, wenn man feststellt, dass die Herzallerliebste den Freunden so ganz und gar nicht zusagt? Hat man sich vielleicht doch in ihr getäuscht? Oder sieht man in ihr vielleicht nur ein Wunschbild? Und wieso verdammt noch mal rede ich über eine Hexe wie über eine echte Frau?

© Platinum Games (PC, 360 & Wii U) / Sega (PS3) / Sega (PC, 360, PS3) / Nintendo (Wii U)

Nicht nur, weil die Engelsjägerin zusätzlich zu den Handfeuerwaffen auch die Pistolen-Absätze ihrer Stiefel als Projektil-Spritze benutzt. Nicht nur, aber auch. Denn egal, ob man anfänglich nur mit den Pistolen oder später mit Katana, Peitsche oder Feuerklauen (teilweise auch kombinierbar, z.B. Katana/Klauen) unterwegs ist, kann man sich vor spektakulären Kombos kaum retten (Dutzende pro Waffentyp/-Kombination), die man durch freischaltbare Sonderangriffe zusätzlich aufstocken kann. Mein Highlight in diesem Bereich, an dem ich mich nicht satt sehen kann, ist der „Breakdance“, bei dem Bayonetta auf dem Boden wirbelnd aus allen Rohren feuert und nach einem kecken Blick in die Kamera sowie einem Model-Fotofinish samt „Klick“ wieder in die vertikale Position wechselt. Leider ist diese Bewegung gegen viele der späteren Gegner unwirksam – das ändert aber nichts daran, dass ich immer wieder versucht bin, den Breakdance zu starten…

Doch das ist noch lange nicht alles. Denn bis hierhin wäre Bayonetta tatsächlich nur die moderne Schwester von Dante, die die von den Engeln zurück gelassenen Heiligenscheine statt irgendwelcher Seelenkugeln als Währung aufsammelt. Doch mit aufnehmbaren Waffen der Gegner, die man bedingt durch Abnutzung nicht all zu lange mit sich herumtragen kann, Einsatz von spektakulären und teilweise auch vom Feind abhängigen „Folter-Finishern“ samt intensiver Buttonmash-Events beim Einsatz von z.B. Guillotine oder Eiserner Jungfrau geht die Hexe weit über das hinaus, was Dante und sein Kumpan Nero aufzubieten haben. Blocken ist der sich elegant und geschmeidig bewegenden Hexe übrigens gänzlich unbekannt. Stattdessen kann sie den Gegnern in den linearen und leider etwas zu häufig als Schlauch designten Abschnitten durch Flickflacks und ähnliche Akrobatik ausweichen. Wenn man dabei sogar das Risiko eingeht und den letzten möglichen Moment abpasst, wird eine der besonderen Hexenfähigkeiten für kurze Zeit aktiviert: Die den Bildschirm blau färbende Witch Time, die Bayonetta’sche Variante der Bullettime, in der man für ein paar Sekunden mit voller Geschwindigkeit die Gegner attackieren kann, die sich ihrerseits nur in Zeitlupe bewegen können. Zusätzlich wird diese Fähigkeit auch für Rätsel genutzt, so etwa, wenn man sie aktivieren muss, um über Wasser laufen zu können oder eine Tür daran zu hindern, sich unvermutet wieder zu schließen, bevor man durchgeschlüpft ist.

Nicht ganz perfekt

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Die Climax-Finisher in den Bosskämpfen machen ihrem Namen alle Ehre: Sie gehören wahrlich zu den Höhepunkten des Hexen-Abenteuers. © 4P/Screenshot

Allerdings ist bedauerlich und für mich nicht nachvollziehbar, wieso man innerhalb der Action auf zwei Waffenkombinationen beschränkt wird. Dass man erst umständlich ins Pause-Menü muss, wenn man feststellt, dass die Waffenauswahl für den jeweiligen Gegnertyp nicht passt, ist ein ungeschickt wirkender Faux Pas, der sich auch in den Ladebildschirmen negativ auswirkt. Wieso das? Ganz einfach: Dank einer ebenso einfachen wie genialen Idee kann man hier nicht nur alle möglichen und von der jeweiligen Waffe abhängigen Angriffskombinationen anzeigen lassen, sondern sie auch gleich üben. Wenn es sein muss, auch bis über die Ladezeit hinaus. Diese Trainingsarena ist ideal, um sich die ausufernden Möglichkeiten zu verinnerlichen, die teilweise sogar über das hinausgehen, was moderne Prügler aufzubieten haben. Aber: Auch hier ist man auf die zwei ausgerüsteten Waffen beschränkt und hat auch nicht wie bei Devil May Cry 4 die Möglichkeit, mit dem Waffenwechsel eine Kombo fortzuführen.

Die auf dem Digipad liegenden Gegenstände für Heilung usw. sind ebenfalls nur suboptimal gelöst. Zwar ist der Weg zum heilenden Lutscher hier deutlich weniger zeitaufwändig als über das Pausenmenü, dennoch bevorzuge ich den Druck auf die „Back“-Taste. Denn zum einen kann ich hier noch einmal kurz durchatmen und versuchen, meinen Blutdruck zu regulieren, bevor es wieder ins Gefecht geht. Und zum anderen habe ich in dem Stakkato der Gegnerattacken eigentlich keine Zeit, um den Joystick auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu verlassen, um das Digipad in die entsprechende Richtung zu drücken.

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Auf den ersten Blick mag Bayonetta „nur“ wie ein Devil May Cry auf Östrogen aussehen, doch die Hexenaction hat weitaus mehr zu bieten. © 4P/Screenshot

Gleichermaßen hätte ich mir gewünscht, dass Platinum Games sich vom mittlerweile acht Jahre alten Prinzip der „Arena-Kämpfe“ verabschiedet. Die Auseinandersetzungen sind bereits intensiv genug, als dass sie durch künstlich geschlossene magische Türen hätten verstärkt werden müssen, die sich erst dann wieder öffnen, wenn alle Gegner ausgeschaltet wurden. Gegen Ende und damit viel zu spät bricht Bayonetta zwar mit diesem Prinzip. Aber das nährt letztlich nur die Hoffnung, dass bei einer möglichen Fortsetzung das Spielgefühl nicht nur erweitert, sondern auch ausgebaut und perfektioniert wird.

Attackierende Haarpracht

Eine weitere Fähigkeit der Umbrahexe ist die so genannte „Wicked Weave“, über die man bereits im Uhrenturm-Prolog immer wieder staunt. Denn Bayonetta kann zum Komboabschluss aus dem Nichts heraus Haarflechten beschwören, die dann in Form von Fäusten oder Kicks die Feinde malträtieren. Das sieht in zweierlei Hinsicht gut aus: Zum einen, weil die Haarpracht ebenso aufwändig animiert ist wie die Hexe selber. Und zum anderen, weil (und damit sind wir wieder beim Thema „überbordende Fantasie“) ihre Haare auch genutzt werden, um ihre Lack/Leder-Kleidung zu bilden. Wenn nun die Weave eingesetzt wird, entblößt sich Bayonetta zunehmend, bevor in einem eindrucksvollen Effekt die „Haare“ wieder über ihren Körper streifen und sich zu Leder verfestigen.

Noch imposanter sind die haarigen „Climax“-Finisher in Bosskämpfen: Anstatt sich auf Arme oder Beine zu beschränken, nutzt Bayonetta die Frisur bis zur letzten Faser, um ein wahrhaft mächtiges Wesen zu beschwören, das den jeweiligen Boss nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Dabei kann es sich um einen Drachen handeln, der den Gegner in Stücke reißt oder einfach mit voller Wucht gegen eine Hauswand schlägt, bis er sich in seine Einzelteile auflöst. Oder auch um einen rabenähnlichen vieläugigen Vogel, der die geschätzte 40 Meter lange gegnerische Drachenschlange kurzerhand verspeist.

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