Apropos Bosse: Dass einem diese Über-Engel alles abverlangen und man ihre Angriffs-Schemata gut beobachten sollte, wenn man eine Chance haben will, ist beinahe schon selbstverständlich. Aber dass Bayonetta sich auch hier keine Blöße gibt, zeigt mit welcher Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Entschlossenheit das Team von Platinum Games sich an die Aufgabe gemacht hat, die ultimative stylische Action anzubieten.
Doch man kann erzählen, was man will: Worte haben Schwierigkeiten, die Wucht auszudrücken, mit der die rasante Action einen ins Sofa drückt und einen fast schon außer Atem zurück lässt. Nicht weil man sich beim Knopfdrücken überanstrengt hat, wobei man ohnehin lieber gezielt agieren sollte, als wie wild auf dem Pad herumzuhämmern. Es ist vielmehr die Verarbeitung der kreativen Reizüberflutung, die für die Kurzatmigkeit sorgt.
Man muss gesehen und vor allem erlebt, ja beinahe schon gespürt haben, wie Bayonetta einen Gegner mit Fußtritten in eine Guillotine befördert, um dann mit einem liebevollen Schnippsen der Finger das Fallbeil zu aktiveren. Oder wenn sie mit einer Waffe des Gegners eine Art Poledance vollführt und dabei die Feinde reihum fallen wie die Fliegen. Oder auch der Bosskampf, bei dem man sich in einer Phase wie seinerzeit in Shadow of the Colossus auf dem Wesen zum nächsten angreifbaren Punkt bewegt, während sich um einen herum die Welt dreht und man keine Gelegenheit dazu hat, darüber zu staunen, da man schon wieder der nächsten Falle oder den nächsten Angriffen ausweichen muss. Es gibt viele dieser Highlights, die die Auseinandersetzungen immer wieder zu einem visuellen Vergnügen machen und über den hohen Anforderungsgrad hinweg trösten. Zu viele, um sie alle hier aufzählen zu können, die aber ein ums andere Mal dafür sorgen, dass man auch nach einem Scheitern das quer durch den Raum gefeuerte Pad wieder aufnimmt und einen weiteren Versuch unternimmt.
Probleme umschifft
Jedes Mal, wenn man glaubt, dass Bayonetta entweder erzählerisch oder hinsichtlich des Designs nicht mehr steigerungsfähig wäre oder gar abbaut, legt das Team mit sicherem Gespür für Timing noch eine Schippe zu. Es gab hin und wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass ich eine „Power-Kombo“ entdeckt hatte, mit der ich zumindest die Standard-Gegner der linearen Abschnitte im Griff hätte. Doch kurz danach wurde mir meistens eine neue Feindesart vorgeworfen, die mich zum Umdenken oder Entwicklung einer neuen Taktik zwang.
Neue Waffen und Fähigkeiten lassen sich im richtigen Moment freischalten, die Mischung aus erzählerischen Elementen und der Action steht immer im passenden Verhältnis. Und auch über die Gegnervielfalt kann man sich nicht beklagen. Das Team geht sogar so weit und zollt seinem Publisher in zwei Retro-Abschnitten Tribut, die sich an Out Run und Afterburner orientieren – samt authentischer neu arrangierter Musik!
Aber genau bei diesen Abschnitten schießt Platinum Games für mein Empfinden über das Ziel hinaus: Sie lockern die Kampfarenen zwar auf, wirken aber im Gesamtkontext halbherzig eingefügt und sind dazu auch noch zu lang. Zwar darf man sich auch hier auf Bosskämpfe freuen, doch der dynamische Fluss, der die normalen Abschnitte auszeichnet, geht hier etwas verloren – obwohl die Idee, diese Reminiszenzen in moderner Arcade-Action zu verankern, gut ist.
Undurchsichtig ist jedoch das Speichersystem: Zum einen hat man die Möglichkeit, nach jedem Abschnitt einen Speicherstand anzulegen. Zum anderen werden gut positionierte Kontrollpunkte angelegt, die einem das Weiterkommen nach einem der obligatorischen Fehlversuche erleichtern.
Stirbt man und entscheidet man sich nun, nicht weiterzuspielen und das schmähliche Game Over in Kauf zu nehmen, startet man beim nächsten Mal aber nicht am letzten besuchten Kontrollpunkt, sondern am Anfang des Abschnitts. Im Gegensatz dazu führt das Pausieren und Beenden einer Sitzung ohne Ableben dazu, dass man am letzten gespeicherten Kontrollpunkt weitermachen kann. Das ist unglücklich gelöst, da dies am Anfang zu frustrierender Verwirrung führt, bevor man das System erkannt hat…
Doch all diese Kleinigkeiten können nicht verhindern, dass Bayonetta nicht nur als Persönlichkeit, sondern auch in mechanischer Hinsicht Dante und Nero verdammt alt aussehen lässt.
Stellt man das Duo der vorzugsweise alleine kämpfenden Hexe gegenüber, sind es nicht nur die zwei Jahre zwischen den beiden Titeln, die den Unterschied ausmachen. Und ironischerweise lässt es sich auf weibliche Wesenszüge herunterbrechen: Sie ist schöner anzuschauen, sie bewegt sich geschmeidiger, das gesamte Spielerlebnis ist runder, weicher, harmonischer und wo die Herren der Dämonen tötenden Schöpfung sich hinter Machismo verstecken, wenn es um Emotionen geht, lässt die Engeljägerin einen Blick in ihre Seele zu.
Künstlerisch wertvoll
Hinsichtlich Levelstrukturen, Artdesign und Erzählstil lassen sich nur wenige störende Haare finden. Dazu gehören z.B. die unsichtbaren Levelgrenzen, an die man ab und an stößt. Und irgendwo tief in mir drin bedauere ich, dass Kamiya-san spielmechanisch „nur“ die Grenzen der linearen Arcade-Action mit Arena-Kämpfen auslotet und bis zum allerletzten Mikrometer ausreizt, aber letztlich ohne neue Wege zu beschreiten. Doch beide Punkte verblassen nicht nur neben dem abgefackelten Action-Feuerwerk, sondern vor allem neben dem detaillierten, fantasievollen Artdesign. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich staunend nach Luft schnappe. Hier ist ein Boss, der mit seinen Flügeln, dem geschuppten Schwanz, den zwei feuerspeienden Köpfen und den Adlerklauen wie ein „Greifendrache“ wirkt – wenn nicht das meterhohe auf dem Kopf stehende menschliche Gesicht mit einem leichten Marmorschimmer diese Illusion faszinierend verfremden würde.
Dort sind die Standard-Engel, die mit ihrem Aussehen irgendwo zwischen Federvieh in Rüstung und marmorner Pracht festhängen und die allesamt Zweifel daran lassen, dass die Designer tatsächlich nur ihre Fantasie und nicht irgendwelche halluzinogenen Drogen benutzt haben. Anders lässt sich z.B. die Seraphim erster Klasse namens Joy nicht erklären, die nicht nur einen enormen Atombusen ihr Eigen nennt, sondern sich bei ihrer ersten Vorstellung aufreizend zwischen die Beine fasst, woraufhin man von einem gleißenden Licht geblendet wird! Die Einführungen der Gegner sind ohnehin ein weiteres fantasievolles Kapitel für sich – wortwörtlich: Mit jedem neuen Typus blendet das Spiel aus der Engine-Grafik butterweich in ein papiernes Standbild, das sich als Seite eines Buches darstellt, das wiederum zu choral-religiöser Musik geschlossen wird, bevor es wieder in den Kampf geht.
Um eine Doppeldiskussion zu vermeiden, wurde der Thread zum Test der PAL-Version verschoben.
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4P|Mathias