Lies of P: Aufschwung und Untergang
Ein Zugabteil, das aussieht, als hätte eine Fußballmannschaft mal wieder über die Stränge geschlagen. Eine Stimme in meinem Kopf, die mich zum Weitergehen ermutigt. Und jede Menge Fragen, die ich vorerst hintenanstelle: Lies of P beginnt ohne große Erklärungen, spektakuläre Intro-Sequenzen oder anderweitigen Firlefanz, sondern wirft mich direkt ins Geschehen. Da passt es hervorragend, dass mir das Spiel am Zugende eine von drei möglichen Waffen in die Hand drückt, mich aus dem Wagen und auf den Bahnhofsasphalt wirft und sagt: Komm mal zum Hotel Krat bitte, aber Vorsicht, auf dem Weg dorthin wartet ein Haufen Mörderpuppen auf dich. Genre-typisch wird Gameplay hier also großgeschrieben. Wem der reine Spaß am Schnetzeln nicht reicht, und eine weitere Motivation braucht, darf sich später aber noch auf mehr Story-Substanz freuen.
Nachdem ich den ersten Boss zu Altmetall verarbeitet habe, liefert mir Lies of P nämlich ein bisschen mehr Kontext für die von blutrünstigen Robotern überlaufenen Straßen: Im Verlauf der Industrialisierung und der Einführung von Puppen als Hausmädchen, Polizisten oder Opernsängern entwickelte sich aus dem einst so friedlichen Fischerdörfchen Krat in Windeseile eine pulsierende Metropole. Doch aus der kapitalistischen Vision von Ruhm und Reichtum wird ein wahrer Albtraum, als die mechanischen Marionetten aus unerfindlichen Gründen durchdrehen und ihre menschlichen Macher attackieren. Obwohl man mit einer fiesen Versteinerungsseuche noch ein zweites Fass aufmacht und eine Reihe an illustren Charakteren einführt, hält sich die Geschichte angenehm im Hintergrund. Abseits der Bosskämpfe gibt es kaum Zwischensequenzen und auch die gelegentlichen Dialoge sind deutlich pointierter als beispielsweise das endlose Gebrabbel aus dem Genre-Konkurrenten Steelrising.
Das alles hat auf den ersten Blick natürlich erstmal wenig mit der Geschichte von Pinocchio zu tun und tatsächlich orientiert sich Lies of P nur sehr lose an der Fabel von Carlo Collodi. Trotzdem bedankt man sich bei dem italienischen Schriftsteller mit einer Widmung und erweckt seine vielen Charaktere wie Pinocchio, Geppetto, Gemini, die schwarze Katze und den roten Fuchs in der Neuinterpretation zum Leben. Ansonsten spielen vor allem die titelgebenden Lügen der Holzpuppe eine Rolle: Immer wieder stehe ich vor Entscheidungen, bei denen ich mich zwischen Lüge und Wahrheit entscheiden muss – auch wenn sich die wirklichen Konsequenzen davon nur schwer erahnen lassen. Während meine Nase sich trotz eventueller Märchengeschichten nicht verändert, wird die eines Porträts im erwähnten Hotel immer länger und auch der Ladebalken ist Pinocchios langem Zinken gewidmet. Die Hommage an die Vorlage besticht also eher durch Details als durch ein Wiederkauen der ursprünglichen Story.
Aus Holz geschnitzt, aus Stahl geschmiedet
Damit wir uns schnell den Höhen und Tiefen des Kampfsystems widmen können, hier der formelle Abriss der Basics: Standardmäßig besteht euer Arsenal aus leichten und schweren Angriffen, einer Ausweichrolle und einem Block, wobei der mit dem richtigen Timing zum perfekten Block (besser bekannt als Parieren) wird und alle erwähnten Manöver eure Ausdauerleiste beanspruchen – klassische Souls-Kost, wie man sie aus den Vorbildern von From Software und den vielen Nachahmungen mittlerweile bestens kennt. Für ein bisschen Würze sorgt die linke Armprothese namens Legion, die anfangs nur für den Fausteinsatz gerüstet ist, später aber auch als Flammenwerfer oder Elektroschocker verwendet werden kann. Abgerundet werden eure Möglichkeiten im Kampf dann durch die sogenannten Fabel-Angriffe, die sich vereinfacht als Spezialattacken bezeichnen lassen und von eurer getragenen Waffe abhängen.
Ebenfalls keine ungewöhnliche Eigenschaft für Soulslikes ist die Waffenhaltbarkeit, die in Lies of P eine zentrale Rolle spielt. Keine Sorge: Im Gegensatz zu The Legend of Zelda: Breath of the Wild geht euer aktuelles Lieblingsschwert nicht dauernd kaputt und muss durch ein neues ersetzt werden. Trotzdem nutzen sich eure Waffen deutlich schneller ab als ihr es gewohnt sein dürftet, weshalb ihr in den Gebieten und längeren Bosskämpfen gelegentlich zum Schleifstein greifen müsst. Eine nette Mechanik, die euch neben Angreifen, Ausweichen, Blocken und Heilen eine weitere Aufgabe gibt und das Spiel so besonders in hitzigen Momenten noch ein bisschen anspruchsvoller gestaltet. Und wo wir schon bei frischen Ideen sind: Die Heiltränke, hier Pulszellen genannt, sind zwar klassischerweise eine endliche Ressource, die sich an Checkpoints und nach dem Ableben wieder auffüllt. Habt ihr allerdings eure gesamten Pulszellen aufgebraucht, könnt ihr eine durch wiederholte Schläge wieder aufladen, was aggressives Spielen belohnt – ein smarter Einfall!
Ohnehin wird aggressives Verhalten in Lies of P gleich mehrfach gefördert: Wenn ihr Angriffe blockt, aber nicht pariert, wird eine Portion des Schadens in eurer Lebensleiste farblich markiert. Haut ihr jetzt zu, bekommt ihr einen Teil davon wieder gut geschrieben, ähnlich wie in Bloodborne also. Das gilt in gewisser Weise auch für eure Gegner, bei denen der verursachte Schaden allerdings nicht durch das Austeilen desselbigen wieder aufgefüllt wird, sondern nach einer gewissen Zeit beginnt, sich von selbst zu regenerieren, wenn ihr ihre Lebensleiste zu lange nicht beackert habt. Das zieht das Spieltempo nach oben und sorgt dafür, dass ihr euch permanent mit eurem Gegenüber beschäftigen müsst. Gleichzeitig bearbeitet ihr durch konstanten Druck auch die unsichtbare Stagger-Leiste des Gegners, die sich durch eure Angriffe und erfolgreich geblockte oder parierte Attacken auflädt.
Fortschritt skaliert anscheinend grundsätzlich nur Elementarschaden, und nie physischen Schaden. Wenn du den Griff änderst, oder auch die Skalierung vom Griff auf Fortschritt, selbst wenn da ein A oder S steht, der Schaden der Klinge bleibt völlig unbeeinflusst, insofern das keine spezielle Klinge mit Elementarschaden ist - und von ebendiesen gibt es halt leider viel zu wenige.
Von 40 Waffen sind damit nur 6 überhaupt nutzbar, und darunter ist keine einzige der Bosswaffen. Fand ich sehr ärgerlich, und eben darum hab ich halt umgeskillt.
Sie hätten so ein System wie in Dark Souls 2-3 oder Elden Ring implementieren sollen, d.h. ich kann beim Schmied oder Stargazer eine physische Waffe nach Wahl auf elementar umwandeln, und dadurch auch Elementarskalierung mit dieser nutzen. Dadurch hätte man mit jedem Build viel mehr Auswahl.
Dass man Klinge/Griff nach Belieben kombinieren kann, ist natürlich an sich gut und sollte beibehalten werden.
Bei Lies of P habe ich natürlich auch irgendwann meine Lieblingswaffe gefunden, ich war aber viel experimentierfreudiger, verschiedene Movests und Waffen auszuprobieren, weil man a) leicht umskillen konnte und b) nicht alles "verschenkt" war, weil man seine high level Komponenten weiterverwenden konnte.
Das hat es für mich mehr als ausgeglichen
-nvm Doppelpost irgendwie
Hab's nachgeholt, war ein ordentliches Soulslike, aber mit den vielen internationalen Gold Awards und co. kann ich nicht wirklich mitgehen. Würd insgesamt eher so 7/10 vergeben.
Was mich störte:
- Viel zu wenig Auswahl für Builds, die auf Fortschritt als Stat gehen möchten, nur sehr wenige Waffen skalieren damit, und darunter ist keine einzige der Bosswaffen. Ich hab deshalb dann irgendwann umgeskillt, weil die geringe Waffenvielfalt mich so nervte.
Glücklicherweise ist das Umskillen kein Problem, dieser Goldmünzenbaum spuckt mehr als genug von diesen dafür benötigten Münzen aus.
- Sehr linearer Aufbau, man arbeitet streng ein Gebiet nach dem anderen ab, die jeweiligen Areale sind nur sehr geringfügig miteinander vernetzt.
Das finale Gebiet im Spiel fand ich zudem auch nicht so pralle, wirkte recht dröge mit den kargen Steinwänden und Kabeln.
- Kampfsystem ist für mein Empfinden noch einen Ticken zu zäh und ungelenk, es entsteht nicht so ein Flow wie in Sekiro oder Wo Long, die beide ebenfalls so einen starken Parry Fokus haben. Man kann seine Armprothesenmodule nicht so flüssig in eine Kombo einbauen wie in Sekiro, und die Fabelkünste nicht so oft und flüssig wie die Kampfkünste in Wo Long.
- Animationen von Gegnern bestehen in einigen Fällen aus wilden Zuckungen und vielen Delays in Angriffsanimationen, was es unintuitiver machte, ein richtiges Gefühl für's Timing für die Parries zu entwickeln. Das ging mir gefühlt leichter von Hand in Sekiro, Wo Long und auch Stranger of Paradise. Der vorletzte Boss war in der Hinsicht nervig, der finale Boss war besser umgesetzt.
Ist aber insgesamt gemessen daran, dass Neowiz / Round 8 Studio sich hier erstmals in der Soulslike- bzw. Action-Adventure-Richtung versucht hat, ein ordentliches Spiel geworden. Wenn sie sich bessern, können da demnächst sehr feine Spiele rauskommen.
Löblich auch, dass es an der Performance nichts zu bemängeln gab - das ist in diesen Tagen ja leider keine Selbstverständlichkeit.
Btw das Spiel ist gerade im Neowiz Sale auf Steam