Senua’s Saga: Hellblade 2 – Isländischer Albtraum
Schreiende Stimmen aus der Vergangenheit von links und rechts. Vor Angst, vor Schmerz. Zerstückelte und aufgeschlitzte Leichen am Wegesrand: Ein überaus blutiger wie brutaler Pfad zeichnet sich durch diese kleine Siedlung. Letzte Rauchschwaden verraten, dass es noch gar nicht so lang her ist, dass wütende Nordmänner mit Axt und Fackel die Bewohner überrannt haben. Wer sich wehrte, wurde niedergeschlagen. Abgestochen. An spitzen Holzpfählen aufgehangen oder bei lebendigen Leibe gehäutet. Ganz egal ob jung oder alt. Als ich in ein Haus eintrete, verglimmt noch etwas Glut zwischen dem zum Teil eingestürzten Holzdach. Ich stolpere über eine Babykrippe. Höre die Mutter entfernt schreien, um Gnade betteln – ihre Stimme verhallt, ihr Körper bleibt für immer hier liegen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich über ein solch grauenhaftes Zeugnis von Gewalt in Senua’s Saga: Hellblade 2 stolpere. Es sollte auch nicht der letzte Anblick dieser Art sein.
Ninja Theory zeichnet schon in den ersten zwei Spielstunden ein düsteres wie unangenehmes Kapitel. Eines, in dem man anhält, um diesen Albtraum wahrzunehmen und in dem einen gleichzeitig die Neugier packt, mehr zu erfahren. Welchen Horror würde das gerade einmal 80 Entwickler starke Team noch in all seinen unfassbar brutalen Details auspacken? Mit was für Schrecken darf sich die von mir gesteuerte schottische Kriegerin herumschlagen, deren Körper ohnehin schon voller physischer wie psychischer Narben ist?
Die Geschichte von Hellblade 2 setzt nur kurze Zeit nach den Ereignissen des ersten Teils an: Senua hat den Tod ihres einstigen Lebensgefährten mehr oder weniger verarbeitet und ihre Psychosen akzeptiert. Sie kann mit den Stimmen in ihrem Kopf, den Furien, leben, fühlt sich mental gefestigter und hat neuen Mut gefasst. Sie lässt sich eines Tages von Wikingern freiwillig gefangen nehmen, um nach Island transportiert zu werden. Dort soll der Clan leben, der einst ihre Heimat zerstört und entzwei gerissen hat. Damit zukünftige Generationen vor ihnen sicher sind, will sie die Männer und ihren furchterregenden Sklavenhandel stoppen.
Auf der kleinen Insel nördlich von Großbritannien ist aber längst nicht alles so, wie es scheint. Die Bevölkerung vor Ort wird von den Wikingern unterdrückt. Zwischen den Felsen und düsteren Wäldern treiben sich Draugr umher und mit den Riesen ist ganz und gar nicht Kirschen zu essen. Senuas Plan, für den sie aus ihrer Sicht von einer höheren Macht auserwählt wurde, scheitert schnell und sie muss lernen, dass das Schicksal nicht so vorgegeben ist, wie es einem zu dieser Zeit vermeintlich eingetrichtert wurde.
Stimmen, die in die Knochen ziehen
Allerdings muss die nordische Kriegerin dieses Mal nicht gänzlich alleine in den Kampf ziehen. Erstmals treffe ich mit ihr auf Gefährten: Reale Menschen, die ihre ganz eigenen Ziele verfolgen und Senua zuerst ungläubig gegenüberstehen. Aber wie Vertrauen aufbauen, wenn man nicht einmal sich selbst trauen kann? Wenn man Dinge sieht, die andere nicht sehen können? Oder hören? Die bereits angesprochenen Furien melden sich schließlich stets zu Wort. Ruhige Minuten gibt es nur, wenn Senua selbst einmal kurz durchatmen kann.
Das ist allerdings äußerst selten der Fall, denn in jeder Minute prasseln Impressionen auf sie und damit auf mich als Spieler ein, die man erst einmal verarbeiten muss.
Die Stimmen kommen von links, von rechts, mal sind sie näher, ein andermal weiter entfernt. Ist Senua nervös, sind sie es auch. Im Kampf geben sie Tipps, lachen mich aus, wenn ich zu Boden gehe. In Gesprächen vermitteln sie Unsicherheit, Stärke oder irgendetwas dazwischen. Wie schon im Vorgänger empfiehlt sich auch bei Hellblade 2 die Nutzung von guten Kopfhörern – ich würde sogar soweit gehen, dass es absolute Pflicht ist. Denn die Entwickler haben ihr Sounddesign weiter ausgebaut, es noch intensiver und atmosphärischer gestaltet.
Die binaurale Technik dient nämlich nicht mehr nur dazu, um Senua und ihre Psychosen in Szene zu setzen: Stattdessen findet sie nun bei der gesamten Präsentation Anwendung. Wäre Hellblade 2 in der Virtual Reality gehalten, würde man sich vermutlich alle paar Sekunden umdrehen. Teilweise hatte ich zwischenzeitlich den Eindruck, als würde ich selbst zwischen Realität und Halluzinationen nicht mehr unterscheiden können. In Gefechten hört man bis in Detail, wie Stahl auf Stahl trifft. Wie Menschen um einen herum um ihr Leben kämpfen. Wie unverständliche Worte gesprochen werden, die mir aus irgendeinem Grund eine unfassbare Gänsehaut verpassen.
Ganz ohne Zweifel: Das Audiodesign in Hellblade 2 gehört mit zum Besten was ihr 2024 hören könnt. Hier wird ein neuer Standard gesetzt, der aus emotionalen Erzählungen noch eine ganze Ecke mehr Unterhaltungsfaktor quetscht.
Anmerkung der Redaktion: Solltet ihr selbst unter Depressionen oder Suizidgedanken leiden, zögert nicht, professionelle Hilfe anzunehmen. Bei der Telefonseelsorge (www.telefonseelsorge.de), kostenlos erreichbar unter der Telefonnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222, könnt ihr beispielsweise mit geschulten Beratern sprechen, die euch auch in schwierigen Situationen zur Seite stehen und der Verschwiegenheit verpflichtet sind. Falls ihr bemerkt, dass Freunde oder Familienangehörige betroffen sind, sprecht mit ihnen und klärt sie über professionelle Hilfsangebote wie die erwähnte Telefonseelsorge auf.
Bin auch durch. Was tolles „Erlebnis“. Atmosphäre teils und die visuelle Darstellung. Sag nur Höhlenabschnitt und Kampf im Dorf. Was sie mit Titanen gemacht haben.
Game lebt sehr davon es auf einem großen Bildschirm/TV zu erleben und entweder guten Kopfhörer oder Surroundanlage. Mit TV Ton oder billigen Stöpseln im Ohr lässt Wirkung sicherlich erheblich nach.
Wie Einige schon sagten muss man mit Senua connecten ansonsten funktioniert das ganze Prinzip nicht. Es ist eine Erfahrung von besonderen Wahrnehmung die einem nicht auf dem Silbertablet serviert wird. Muss für sich die Zeichen deuten und was solche Personen durchmachen. Spiel will nicht angenehm sein sondern etwas verdeutlichen was besonderer innerer Kampf ist und mit der kalten Außenwelt.
Bei mir hat es wunderbar funktioniert eine kleine Gefühlsachterbahn auszulösen. Sicher kein Spiel was man jetzt mehrmals hintereinander durchzocken wird.
klaro, Hellblade 2 wird (wie alles) nicht jedem gefallen und das ist mehr als nachvollziehbar in diesem Fall hier. Ich würde es auch nicht als Spiel bezeichnen, sondern als Erlebnis. Es funkt oder es funkt nicht.
Ziel der Entwickler war es wohl dem "Spieler" das Krankheisbild der Psychose näherzubringen, offensichtlich mit den Stimmen im Kopf. Aber eben nicht nur damit. Die Behäbigkeit gehört dazu, das langsame Voranschreiten, die Störung des Antriebs, die Wahnvorstellungen, Denkstörungen (man steht wie vor einer Wand, kommt nicht weiter, ein scheinbar unlösbares Rätsel... immer und immer wieder, man verzweifelt dran), Verwirrtheit, Desorientierung, man kämpft sich durchs Leben, immer das gleiche Schema, repetitiv, der Ausstieg aus der Realität... und all das, obwohl das Leben um einen herum so wunderschön aussehen kann.
Wenn man das Ganze aber für das Gameplay anwirft, um mit dem Gameplay Spaß zu haben, um ein Action-Adventure oder ähnliches zu spielen, dann ist eventuell unter Umständen vielleicht nicht das was die Entwickler einem vermitteln wollen. Es ist halt etwas komplett anderes, als die klassischen Videospiele. Daher finde ich es auch gut, dass es sowas gibt, das Medium Videospiel mit all seinen Interaktionsmöglichkeiten (im Verlgeich zu Büchern, Filmen und Co.) einem so etwas anbietet und ermöglicht... auch wenn es nicht jedem gefallen wird (aber das trifft - wie gesagt - auf alles zu). Dafür zündet es bei vielen anderen. Daher hoffe ich nicht - wie oben geschrieben - dass die Entwickler daraus "lernen" und aus dem besonderem Erlebnis, z.B. lediglich ein weiteres Action-Adventure machen, wovon es schon etliche gibt.
Ich konnte mit Teil 1 übrigens auch rein gar nichts anfangen, hatte es abgebrochen. Mit Teil 2 erging es mir merkwürdigerweise anders. Ich konnte mich drauf einlassen und das Ganze aus einer anderen Perspektive sehen, nicht als Spiel, sondern als Versuch ein komplexes Krankheitsbild nahbarer, zugänglicher zu machen.
Teil 2 werde ich wohl beenden, aber auch nur da es nicht so lang sein soll und ich bereits einige Stunden gespielt habe. Wäre die Spielzeit um die 20 Stunden würde ich wohl nicht mehr weiter machen.