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The Witness (Logik & Kreativität) – Idyllischer Denksportmarathon

Mittlerweile gibt es viele kleine Studios, die mitunter großartige Spiele entwickeln. Aber vor acht Jahren war Braid noch ein Phänomen: Das Knobelspiel von Jonathan Blow begeisterte weltweit mit seinen metaphorisch verknüpften Zeiträtseln, stürmte die Charts und avancierte zu einem Symbol für die kreative Kraft der Independent-Szene. Mit The Witness wagt sich sein Schöpfer an ein wesentlich umfangreicheres Abenteuer. Ob die Rätsel auf der Inselwelt begeistern können, klärt der Test.

© Jonathan Blow / Sony / Thekla Inc.

Magische Momente und Rätselvielfalt

Nicht nur dieses große Fragezeichen, auch die Rätselvielfalt sowie einige magische Momente motivieren immer wieder dazu, weitere Gebiete komplett aufzulösen: Man erschreckt förmlich und staunt, wenn man entdeckt, dass man von bestimmten Punkten aus auch innerhalb der Landschaft magische Linien zeichnen kann, die dann mit einem plötzlichen Donnern und Funkenschlag ein goldenes Symbol in einen der schwarzen Monolithen gravieren – cool! Man will natürlich herausfinden, was es damit auf sich hat. Nicht unbedingt, weil einen die Geschichte dahinter interessiert, sondern vielmehr die Funktion dieser archaisch anmutenden Säulen.

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Ein begehbares Labyrinth: Findet ihr die richtigen Wege? Man muss nicht immer Routen zeichnen, sondern auch mal aktiv über Druckplatten ablaufen. © 4P/Screenshot

Die ganze Insel ist von einem Netz aus Leitungen, Kabeln, Tunneln, Wegen & Co durchzogen.  Über das Lösen von Rätseln kann man Türen öffnen, Strom aktivieren, Farbe oder Wasser fließen lassen. Und es gibt einige geniale Rätsel, die die Sinne schärfen: Manchmal muss man auf Licht, Schatten, Farben oder Geräusche achten, um Wege oder gar nicht sichtbare Hindernisse zu identifizieren. Moment, hier knirscht etwas unter den Füßen – heißt das etwa, hier war ein Hindernis, das ich beim Einzeichnen beachten muss? Ja! Manchmal muss man wie in alten Zeiten zu Stift und Karopapier greifen, um eine Situation zu meistern. Allerdings werden etwas zu viele der knapp 600 Rätsel so bescheiden auf Rastern inszeniert, dass es an der Geduld zehrt. Zwar muss man auch mal schnell sein und gegen die Zeit arbeiten, aber es geht fast nie um Hand-Auge-Koordination oder komplexere physikalische Aktionen.

Karierte Quadrate ohne Ende

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Was hat es mit den Statuen auf sich? Oder sind es versteinerte Menschen? Warum stammen sie aus allen möglichen Zeitaltern? © 4P/Screenshot

Die meiste Zeit zieht man also Linien durch karierte Quadrate. Warum macht das trotzdem Spaß? Weil es sich vom Einfachen zum Besonderen steigert. Zunächst muss man nur von A nach B kommen, aber schon bald muss man auch die Beziehungen der Symbole beachten, wenn man Gebiete um sie malt: Schwarze und Weiß sollten z.B. getrennt werden; ein Stern darf mit einem Viereck gleicher Farbe zusammen sein, aber zwei Sterne brauchen entweder eines, zwei oder vier Vierecke unterschiedlicher Farbe. Zwei Sterne dürfen bei gleicher Farbe wiederum zusammen stehen usw. usw. Wie gesagt: Es gibt keine Legende, man muss sich das alles merken. Spielt man The Witness am Stück, ist das auch kein Problem, aber wer es länger nicht anrührt, muss sich evtl. nochmal einfache Aufgaben ansehen.

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Wer diese gelben Kästen aktiviert, kommt der Lösung näher: Sie strahlen Licht auf den Berg der Insel – sieben Siegel kann man so aufbrechen. © 4P/Screenshot

Dieses System wird von durchbrochenen Linien, aufzusammelnden Markierungen, freien Platzierungen oder Drehungen von Figuren im Tetris-Stil immer ausgeklügelter und komplexer, wenn man plötzlich von zwei Punkten aus zwei Linien gleichzeitig ziehen muss, wobei eine vielleicht spiegelverkehrt ist – oder gar unsichtbar! Man fühlt sich zwar des Öfteren wie der Ochs im Walde: Hä, wie soll das denn gehen? Aber es gelingt dem Spiel über die sanfte Heranführung an die Rätsel, dass man auf angenehm intuitive Art um die Ecke denkt. Ach so, ich muss erstmal um diesen Apparat herum gehen! Ach ja, ich könnte den Blickwinkel ändern! Moment, wenn ich durch das farbige Glas sehe, dann ändern sich die Symbole!

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Vertrackte Suche nach der richtigen Perspektive für das Rätselmotiv – hier nervt die Steuerung. © 4P/Screenshot

Neben kleineren grafischen Defiziten wie Pop-ups gibt es auch spielmechanische Schwächen: Dass man lediglich sprinten, aber nicht klettern oder springen kann, ist nicht weiter schlimm. Dass man jedoch nirgends hinunter hüpfen kann, selbst nicht wenn es lediglich hüfthoch ist, ist ärgerlich und sorgt für noch mehr Laufwege. Richtig nervig wird es bei manchen Positionierungen der Perspektive: Manchmal muss man vor einem Raster die Landschaft so fokussieren, dass sich eine umrahmbare Silhouette ergibt – z.B. aus Felsen. Bevor man die richtige Position gefunden hat, justiert man sich schonmal einen Wolf. Hier hätte zumindest ein leichter Automatismus geholfen, wenn man denn das richtige Motiv weitgehend im Blick hat.